Ein Dialog mit den heutigen Bewohnern unserer Heimat
Vertreibung oder Aussiedlung ?


Verständigungspolitische Tagung des PKST in Külz

von Margrit Schlegel, PKST-Präsidentin


Unsere seit dem Jahre 2000 stattfindenden Verständigungspolitischen Tagungen in Hinterpommern haben inzwischen schon Tradition. So trafen sich vom 5.-9. Oktober 2007 in der Lehr- und Tagungsstätte der Universität Stettin in Külz-Kulice im ehemaligen Kreis Naugard Vertreter unserer hinterpommerschen Heimatkreise, polnische Kommunalvertreter und Lehrer und polnische Teilnehmer aus der näheren Umgebung sowie die Vorsitzenden der Deutschen Freundeskreise aus Stettin und Stolp. Die Referate zum Thema „Flucht und Vertreibung“ wurden von polnischen Historikernder Universität Stettin und von deutscher Seite vom Vorsitzenden des Heimatkreises Greifenberg, Ulrich Thom, gehalten.Außerdem gab es einen Dialog mit polnischen und deutschen Heimatvertriebenen. Das Seminar wurde simultan übersetzt. Die gesamte Tagung wurde vom Bundesministerium des Inneren teilfinanziert.


Das PKST-Präsidium in der Mitte der Ratsvorsitzende aus Naugard


Nach der Begrüßung und Einführung in die Tagung durch die Präsidentin des PKST, Margrit Schlegel, überbrachte der Vorsitzende des Rates der Stadt Naugard (Nowogard) die Grüße seiner Stadt. Auch der Landrat des Kreises Stolp richtete herzliche Grußworte an die Teilnehmer. Im Auftrage des Präsidenten des Schlesischen Kreis-, Städte- und Gemeindetages wurde eine Grußbotschaft an die Pommern verlesen.

Über das Thema „Pommern als Region aus historischer Sicht“ referierte Professor Edward Wlodarczyk. Pommern sei nie eine herausragende Region gewesen, weder geografisch noch geschichtlich. Einen Sonderstatus hatte allerdings Stettin und außerdem von Bedeutung waren die wichtigen Verkehrswege. Für seine Landwirtschaft brauchte Pommern die Saisonarbeiter aus Polen. Allerdings war Pommern ein sicherer Raum für die Menschen, die aus den durch Bombenbedrohten Gebieten Deutschlands hierher evakuiert wurden.

Der Zweite Weltkrieg hat den Charakter Pommerns nicht verändert. Die Neuansiedler haben sich hier fremd gefühlt. Sie merkten, dieses Land ist durch die Beziehung zum deutschen Erbe geprägt. Nur wenige Zeugen der deutschen Kultur waren geblieben. Es fehlten also die Menschen, die Kulturgüter und die Persönlichkeiten, die dieses Land bis 1945 geprägt haben.
Nach 1945 wurde Pommern lediglich von Polen bewohnt. Durch die jetzt bestehenden Kontakte zu den ehemaligen deutschen Einwohnern Pommerns kommt deren Kultur wieder zurück in diese Region.
Wir können die Zukunft positiv gestalten, wenn beide Völker sich weiter annähern. Mit dieser Feststellung schloss der Referent seinen Vortrag.
Anschließend sprach Ulrich Thom über „Flucht und Vertreibung, ein Fluch des 20. Jahrhunderts“, in dem er zunächst an die Vertreibungen, die im Laufe der Jahrhunderte stattgefunden haben, erinnerte. Es hat jedoch zu keiner Zeit Vertreibungen dieses Ausmaßes gegeben, wie wir sie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges erleben mussten. Er gestand, dass Deutschland den Krieg vom Zaun gebrochen hat, erinnerte an die Judenverfolgung mit all ihren Verbrechen, bei der sechs Millionen Juden aus allen Teilen Europas umgekommen sind.
Außerdem erwähnte er den Hitler-Stalin-Pakt im Jahre 1939, die Zerschlagung Polens und die Vertreibung von mehreren hunderttausend Polen.
Allerdings sei das Ausmaß der Vertreibung in den Jahren 1944-1946 in Deutschland am größten gewesen und mit 15 Millionen Menschen eine „erzwungene Völkerwanderung“. Im Februar 1945 wurde durch die Konferenz von Jalta die Teilung von Ost und West vollzogen. Was wurde aus der Bevölkerung die bedingt durch die Durchhalteparolen der Regierung ihre Heimat nicht mehr rechtzeitig verlassen konnte?
Sie kamen zunächst unter russische Verwaltung und später unter polnische exekutive Gewalt. Über eine Million Deutsche mussten nach Beendigung der Ernte im Herbst 1945 ihre Heimat verlassen. Die Polen kamen hierher und die Deutschen mussten ihre Heimat verlassen! Bereits vor der Potsdamer Konferenz im August 1945 fanden die sogenannten „wilden Vertreibungen“ statt. Bis August 1945 gab es keine Vereinbarung der Siegermächte, was mit den Deutschen geschehen sollte.
Der deutsche Osten kam dann nach der Potsdamer Konferenz unter vorläufige polnische Verwaltung, und zwar bis zu einer endgültigen Friedenskonferenz.
Zum Vergleich kann man sagen, dass der 30jährige Krieg (1618-1648) viel mehr in das Bewusstsein der damaligen Bevölkerung eingegangen ist, wie Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg. Diese betrafen nur einen Teil der deutschen Bevölkerung und entsprechend gering war die Anteilnahme. Der Referent erinnerte an die Verluste der Bevölkerung auf dem Seeweg (Wilhelm Gustloff) und an den Bombenangriff auf Swinemünde am 12. März 1945. Beide trafen besonders die Zivilbevölkerung. Ulrich Thom verwies zum Schluss darauf, dass seine Quellen überwiegend aus internationalen Archiven stammen.
Über das Schicksal der Vertriebenen aus Ostpolen referierte Frau Dr. Alina Hutnikiewicz.
Zunächst machte sie deutlich, dass im Alltagsgespräch in Polen das Wort „Vertreibung“ nicht vorkommt. Es sei emotional gefärbt und negativ belegt. In Polen heißt es „Aussiedlung“ und beinhaltet ebenfalls den Zwang beim Verlassen der Heimat. Die polnischen Neusiedler mussten bekanntlich ebenfalls ihre Heimat verlassen.
Sie kamen aus Wolynien, der Ukraine, Weißrussland und Litauen. Wer seine Heimat nicht verlassen wollte, musste die russische Staatsbürgerschaft annehmen. Ganze Dörfer machten sich auf den Weg gen Westen. Ihre Freiheit war eingeschränkt und was man ihnen versprach, wurde nicht eingehalten. Sie mussten ihre Häuser zurücklassen. Eine Rückkehr in die Heimat war nicht möglich.

Es wurde bald klar, dass die „Aussiedlung“ der Deutschen eine dauerhafte Lösung war. Man wollte keine Mischung der Bevölkerung. Die polnische Besiedlung der deutschen Ostgebiete wurde lt. Londoner Protokoll gutgeheißen.
Über ihre Evakuierung aus ihrer Heimat nach Pommern berichteten dann zwei polnische Zeitzeugen. Es ist ihnen ähnlich ergangen, wie uns. Jedoch konnten sie ihr mobiles Eigentum mitnehmen. Sie waren zum Teil wochenlang auf offenen Waggons unterwegs. Seit einigen Jahren können sie ihre Heimat besuchenund machen dort ähnliche Erfahrungen mit den Bewohnern ihrer Häuser, wie wir in Pommern.
Sie gaben ihr Bewunderung zum Ausdruck, über unseren Mut, eine Tagung über dieses Thema mit polnischen und deutschen Teilnehmern durchzuführen.
Dr. Adam Makowski sprach dann über „Stettin und Hinterpommern 1945-1946 im Rahmen der russischen Politik“. Sehr selbstsicher stellte er seine Forschungsarbeiten, die er seit zwanzig Jahren durchführt, in den Vordergrund seiner Ausführungen. An die Teilnehmer gerichtet meinte er, was Sie erlebt haben, ist nicht alles.Die Forschung berichtet darüber anders. Die Grenzverschiebung war keine polnische Idee! Bei der Potsdamer Konferenz im August 1945 war alles von den Russen abhängig. Sie blieben nach Kriegsende in Pommern als sogenannte Schutzmacht für Deutsche und Polen. Die Augenzeugen der Geschichte bringen zwar ihre Erfahrungen mit, die Historiker sehen die Geschichte im Licht der Quellen.
Leider war von allen polnischen Referenten nicht zu erfahren, ob sie neben polnischen Quellen auch deutsche und internationale ausgewertet haben.
Nach diesem Referat kam es zu einer äußerst kontroversen Diskussion, in deren Verlauf die unterschiedlichen Begriffe „Vertreibung“ und „Aussiedlung“ immer wieder zur Sprache kamen. Letztendlich gestand Dr. Makowski ein, dass wir viel Mut hätten, dieses Thema mit polnischen Historikern zu diskutieren. Dieses Wort werden Sie von mir niemals hören. Er warf uns, den deutschen Zeitzeugen vor, unser Schicksal zu emotional zu sehen.
Gespräche zwischen Zeitzeugen und Historikern könnten auf dieser Basis nur schwer geführt werden. Verständlicher Weise schlugen die Wellen der Diskussion bei unseren deutschen Teilnehmern hoch.
Die PKST- Präsidentin sprach in ihrem Schlusswort ihre Enttäuschung über das Ergebnis dieses Tages aus. Obwohl wir im Vorfeld die Problematik des Themas kannten, waren wir zuversichtlich, dass beide Seiten mehr aufeinander zugehen würden.
Sie wertete allerdings die Gespräche mit den polnischen Historikern in so fern positiv, dass sie die unterschiedlichen Standpunkte klar erkennen ließen. Wie es der Landrat aus Stolp in seiner Begrüßung sagte, wiederholte es die Präsidentin, es gibt auf Ebene der polnischen Kommunen keine Schwierigkeiten mit den deutschen Vertriebenen gute Kontakte zu pflegen.
Man war sich dann jedoch einig, die Gespräche zwischen Deutschen und Polen nicht abzubrechen und sich auch künftig an einenTisch zu setzen, auch wenn die Begriffe „Vertreibung“ und „Aussiedlung“ uns trennen!

Für die nächsten beiden Tage waren Exkursionen nach Kolberg und in den Kreis Greifenhagen im Programm. Hierbei hatten wir die Möglichkeit die Kontakte, die die beiden Heimatkreise dorthin haben, noch zu vertiefen.
In Kolberg wurden wir unter der Leitung des HKA-Vorsitzenden Ernst Schroeder durch die Innenstadt geführt. Der Stadtpräsident empfing uns, der auch sehr ehrlich zugab, dass uns die Probleme in Warschau bei unserer Verständigungsarbeit nicht stören können.
Ein Besuch des Domes schloss sich an. Am Vorabend hatte Professor Bergunde bereits in seinem Lichtbildervortrag die Einstimmung auf die Geschichte des Domes und seiner Bildwerke vorgenommen.
Nach dem Totengedenken an der deutschen Gedenkstätte, besuchten wir die Grundschule, deren Schüler die Pflege dafür übernommen haben. Obwohl es ein Sonntag war, begrüßten uns die Kinder mit Musik- und Tanzdarbietungen und einer Kaffeetafel.
Der zweite Exkursionstag führte uns unter der Leitung des Kulturreferenten des Heimatkreises in den Kreis Greifenhagen, und zwar zunächst zum Besuch des Klosters Kolbatz.


Teilnehmer der Külzer PKST-Tagung auf dem Kriegsgräberfriedof in Glien


Weiter führte uns unser Weg zum Soldatenfriedhof nach Glien, wo uns der Verwalter, Peter Nycz, etwas über die Anlage erzählte, u.a. über die Mitte dieses Monats geplante Einbettung von ca. neunhundert Soldaten, die man überwiegend in Westpreußen gefunden hat.
In Greifenhagen begrüßte uns der stellv. Landrat sehr herzlich. Er berichtete über die Projekte des Kreises und über weitere Pläne. Unsere zahlreichen Fragen, die hauptsächlich seinen Kreis betrafen, beantwortete er sehr ausführlich.
Die weitere Fahrt führte uns durch den Landschaftsgarten „Tal der Liebe“ zum Aussichtspunkt über das weite Odertal.
Über Königsberg/NM, wo es im ehemaligen historischen Ratskeller Kaffee und Kuchen gab, ging es dann über die Autobahn nach Külz zurück.
Die Geselligkeit kam an den langen Herbstabenden nicht zu kurz. Ein zentrales Thema, besonders am Abend vor der Abreise bei der „Bilanz der Tagung“, war zunächst ein Vergleich der harmonischen Begegnungen in Kolberg und im Kreis Greifenhagen mit unseren Eindrücken während des Seminartages mit den polnischen Historikern.

Unsere Diskussion zog sich lange hin. Die Vertreter der Heimatkreise, die überwiegend durch die Partnerschaften ihrer Paten gute Kontakte zu ihren Heimatstädten aufgebaut haben, sind eher bereit sich auf Diskussionen mit polnischen Referenten einzulassen, als unsere Landsleute, die wenige oder keine Erfahrungen mit polnischen Vertretern in unserer Heimat haben.
Abschließend stellten wir fest, dass der Pommersche Kreis- und Städtetag seine verständigungspolitischen Arbeit in der Heimat fortsetzt und damit die gute Zusammenarbeit unserer Heimatkreise in Pommern weiterhin belebt und vertieft.

Der Termin für 2008 steht bereits fest, und zwar werden wir vom 17.-21. Oktober wieder in Külz sein.